Für eine Welt des Miteinanders

An über 40 lokalen Schulen stärkt die Volksbank eG Osterholz Bremervörde seit vielen Jahren bereits gemeinsam mit Trainerin Andrea Ney die Schülerinnen und Schüler der Region. Jahr für Jahr werden über 900 Kinder darin trainiert, schwierigen und bedrohlichen Situationen überlegt, selbstbewusst und mit der gebotenen Entschiedenheit entgegenzutreten. Das ist wichtig, fordernd und es lehrt, mit Angstsituationen entschlossen umzugehen. Andrea Ney schafft im Training wiederum die schwierige Balance zwischen spielerischer Vermittlung und Ernsthaftigkeit, das aber mit einer Menge Spaß. Sodass die Kinder nicht nur selbstbewusst, sondern auch vergnügt daraus hervorgehen.

Für eine Welt des Miteinanders

Die Begrüßung in der großen Runde ist eben vorbei, nun sitzen rund 20 Kinder in einer Reihe auf dem Boden der Turnhalle. Sie schauen Andrea Ney so richtig sauer an, wütend schon fast. Nicht, weil sie wirklich böse auf die Selbstbehauptungs- und -verteidigungstrainerin sind – sie sollen so gucken. „Wo sind eure Augenbrauen? Die müssen strenger sein!“, ruft Andrea Ney, die, sobald sie die Halle der Menckeschule in Osterholz-Scharmbeck betreten hatte, unmissverständlich, aber auch auf freundliche Weise das Kommando übernommen hat. „So, nun stellt ihr euch bitte auf und wir üben noch mal die Abwehrhaltung“, sagt die Trainerin. Die Gruppe erhebt sich, keines der Kinder tuschelt oder quatscht mit dem Nachbarn, die Stimmung ist konzentriert. Alle strecken einen Arm mit offener Handfläche nach vorne aus, den anderen halten sie oberhalb ihrer Stirn, mit geballter Faust. Spielerisch hat Andrea Ney den Kindern so eine Karateübung beigebracht – und die Grundschüler machen alle mit.

Trauriger Anlass

Die Übung, die die 65-Jährige hier im niedersächsischen Osterholz-Scharmbeck vermittelt hat, ist Teil des „Trau dich“-Seminars, das sie für Grundschulen in der gesamten Region anbietet. Entstanden ist es im Jahr 2004 aus einem traurigen Anlass. Ein Junge aus dem Kreis war verschleppt und später getötet aufgefunden worden. Er wurde Opfer eines Serientäters, der in der Region mehrere Kinder entführt hatte. „Das war direkt vor unserer Haustür und hat in der Bevölkerung etwas ausgelöst, sodass die Eltern an den Schulen gefragt haben, ob es nicht vielleicht Präventionskurse geben könnte. Die Schulen haben sich wiederum an uns gewandt und dann hat uns die Polizei Osterholz-Scharmbeck ,Trau Dich‘ empfohlen“, erzählt Yvonne Jaroni. Die Marketing-Mitarbeiterin der Volksbank Osterholz eG Bremervörde ist heute in die Halle gekommen und fand sich gleich als Teilnehmerin wieder. „Eigentlich war das gar nicht geplant, dass ich mitmache. Ich wollte mir das Ganze eigentlich nur anschauen, aber Andrea hat mich so nett eingeladen, dass ich gleich und gern mit dabei war“, sagt sie und nimmt einen Schluck Wasser, denn die Übungen sind anstrengend. „Und ich bin absolut begeistert von der ganzen Art, wie Andrea das anleitet und wie die Kinder mitmachen.“

Antrieb aus eigener Erfahrung

Die Begeisterung entsteht vor allem durch die Art, in der Andrea Ney den Kurs leitet. Das liegt zum einen an ihrer Erfahrung: Sie trainiert Kinder und Jugendliche, seitdem sie selbst 17 Jahre alt war. Zum anderen kann sie sich sehr gut in die Kinder hineinversetzen. „Ich wurde in der Schule selbst geärgert und habe auch Gewalterfahrungen gemacht“, erzählt sie. Ihre Mutter meldete sie deswegen zum Karate und Judo an. „Damit öffnete sich für mich eine Welt des Miteinanders, in der ich mich zuhause und auch stärker fühlen konnte.“

Andrea Ney lernte Jiu-Jitsu, Aikido und Wendo, eine feministisch geprägte Selbstverteidigungs- und Selbstbehauptungstechnik für Frauen und Mädchen. Nach einer Ausbildung zur Chemisch-technischen Assistentin und einem Studium zur Diplom-Biologin arbeitete sie zunächst in ihrem Beruf, wurde aber wegen Stellenkürzungen entlassen – und stellte fortan ihr Hobby und ihre Leidenschaft in den Vordergrund. „Ich hatte nebenbei sowieso immer Trainings gegeben und habe mich dann entschieden, daraus einen Beruf zu machen.“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Gegen Ausgrenzung, Mobbing, Belästigungen

Seit 48 Jahren nun befähigt sie vor allem Kinder und Jugendliche, sich selbst zu behaupten und sich zu schützen. Tausende Kurse hat sie gegeben – momentan sind es immer noch mehrere Hundert pro Jahr – und damit Zehntausenden jungen Menschen etwas mitgegeben. Andrea erklärt und bespricht in den Kursen verschiedene Situationen und stellt sie in Rollenspielen nach – zum Beispiel Beleidigungen, Ausgrenzungen, Mobbing oder Belästigungen. Dabei erarbeitet sie mit den Kindern verschiedene Handlungsoptionen und informiert über weiterführende Hilfen. Mit einem Arbeitsblatt kann sie die Kursinhalte zudem vertiefen.

Balanceakt

Dabei schafft Andrea Ney den Balanceakt, den Kindern Gefahren bewusster zu machen, sie aber gleichzeitig nicht zu verängstigen. In der Gruppe ist das die ganze Zeit zu beobachten. Die Kinder machen nach einer kurzen Eingewöhnungsphase, in der die Trainerin sie erst einmal selbst reden lässt, bei allem mit. Die Stimmung ist gelöst, auch auf den ersten Blick schüchterne Kinder kommen sofort nach vorn und machen die Übungen vor, die Andrea Ney ihnen zeigt. Ihr Training nutzt verschiedene Elemente aus Karate und Jiu-Jitsu, sie bietet Fallübungen, Möglichkeiten, einen Streit zu schlichten, auch eine Übung mit Boxpratzen, damit die Kinder ihre eigene Kraft entwickeln und sich im Notfall wehren können.

Sonja Mackenberg beobachtet das Seminar heute ebenfalls von Anfang an. Die Lehrerin der Menckeschule ist genauso begeistert wie Yvonne Jaroni von der Volksbank – und auch sie macht den gesamten Kurs mit. Neben dem Spaß sieht sie ebenfalls den großen Effekt, den das Seminar hat. „Es schließt eine Lücke im Curriculum, die wir im normalen Unterricht nicht füllen können. Und da geht es vor allen Dingen darum, die Selbstbehauptung der Kinder und ihr Selbstbewusstsein zu stärken“, sagt Sonja Mackenberg. Die Art und Weise ist dabei ganz besonders. „Andrea führt die Kinder sehr spielerisch an Techniken der Selbstverteidigung heran. Sie üben, ihren Körper zu fühlen, lernen, Situationen einzuschätzen und Gefahrensituationen zu bewältigen“, beschreibt die Lehrerin das Vorgehen. „Das macht den Kindern natürlich viel Freude, weil Andrea das sehr einfühlsam und mit viel Leidenschaft und Humor rüberbringt.“

„Wir freuen uns, unseren Teil beitragen zu können“

Yvonne Jaroni bestätigt das, auch sie hat enorm viel Spaß an dem Morgen, auch wenn das Thema eigentlich ein ernstes ist. Der Bedarf besteht auch weiterhin, das macht die Bankmitarbeiterin auch klar. „Es gibt immer wieder Fälle, in denen Kinder in solche Situationen kommen, und wir freuen uns, dass wir einen Teil dazu beitragen können, dass sie sich wehren können und wissen, wie sie in solchen Situationen reagieren.“ Rund 45 Schulen aus dem Geschäftsgebiet nehmen so im Jahr 2023/2024 teil, damit werden jährlich etwa 900 Kinder erreicht.

Die Seminare sind dabei auch nachhaltig erfolgreich. Nebenbei erzählen die drei Erwachsenen immer wieder kleine Geschichten: von Kindern, die nach dem Kurs aufrechter gehen, mehr lächeln, aufmerksamer sind, zu Hause darüber reden und das Erlernte vorführen. Andrea Ney hat von mehreren Familien gehört, dass sich Kinder in Gefahrensituationen behaupten konnten, weil sie aufmerksam waren und nicht in Schockstarre fielen. „Ein Mädchen hat mir neulich noch erzählt, dass sie von Männern in einem Auto angesprochen wurde, ob sie nicht einsteigen will. Sie war sehr verängstigt, hat dann aber, wie wir es geübt hatten, sehr tief eingeatmet, hat sich vom Auto entfernt und ist weggelaufen“, erzählt Andrea Ney. Die Trainerin ist stolz darauf, vor allem auf das Mädchen, aber sie weiß auch, dass es immer wieder zu solchen Situationen kommen kann. „Ich versuche, die Kinder so zu trainieren, dass sie befähigt werden, sich selbst zu vertrauen, Hilfe zu organisieren und zu leisten und sie so stark zu machen“, sagt sie. „Damit habe ich einen ganz, ganz, ganz tollen Job. Und das macht so viel Freude und Sinn.“